Der Weltraum, unendliche Weiten – Teil 10

ER KONNTE ALLES
“Is’ nich’ schlimm! Man muß auch mal mit weniger auskommen”, sagte Oma. Um das zu verstehen muß man aber erstmal erwachsen sein. Der erste Schritt dorthin war die Einschulung. “Wir schreiben das Jahr 1971, das sind die Abenteuer des Thomas T. Kirk. Er wird 14 Jahre unterwegs sein, um neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen. Viele Lichtjahre von zu Hause entfernt, dringt Thomas in Galaxien vor, die er nie zuvor gesehen hat. da daaa, da da da da daaa… “Der Aufnahmetest war billig, Thomas war durch zwei Großmütter bestens präpariert, er konnte alles: Hund, Katze, Maus und Haus erkennen, bis 10 zählen, seinen Namen schreiben und wußte sogar wo er wohnt. Na wenn das nicht die Grundlage für ein gutes Abitur ist, mal schauen. Also an einem Dienstag war es dann so weit, der große Tag der Einschulung war gekommen und alle gingen hin: Mama, Papa, Thomas und Tausend andere. Das war auch irgendwie das Problem. So viele Menschen war Thomas nicht gewöhnt. Die größten Menschenansammlungen, die er kannte, fanden sich an den Familiengeburtstagen zusammen. Und das war überschaubar. Und so viele fremde Kinder! Als überzeugter Kindergartennichtbesucher war das das größte Problem. “Und mit denen soll ich nun in den nächsten Jahren meine Vormittage verbringen?” Die Vorstellung war so gruselig wie Thomas Hemd mit seinem auffälligen Paicleymuster. Er trug es über der Hose, in der Hüfte von einem riesigen Gürtel im Zaum gehalten – ein echter Hippie, nur die Frisur, das war der Vietnamkrieg in Haaren. Aber die anderen sahen genauso Scheiße aus. Irgendwie fand das dann alles seine Ordnung: Tausend Kinder wurden auf 10 Klassen verteilt, tja, das waren die geburtenstarken Jahrgänge. Frau Hummel, seine Klassenlehrerin, hatte Thomas gleich ins Herz geschlossen. Das kann doch ganz nett werden. Jo, an dem Tag war sie auch nüchtern.

Der Weltraum, unendliche Weiten – Teil 9

JUCKEN UND KRATZEN
Frühsommer ’72, die Sonne schien an diesem Sonntag und Thomas neuer Filzanzug war so blau wie der Himmel über ihm. Dazu ein weißer Rollkragenpullover mit garantiert keiner natürlichen Faser, aber dafür aus 200% Polyester. “Das kratzt!” sagte Thomas. “Quatsch” sagte seine Mutter. “DASKRATZTABER!!” “Stell dich nicht so an” und damit war die Diskussion zu Ende.
Sonntag, der Tag der Familienausflüge, sie fuhren in dieses bepisste Kaff in der Wetterau zu Oma und Opa und Onkel und Tante. Immerhin in ihrem neuen K70 mit Frontantrieb und wassergekühlt in leuchtendem Orange, dieser wegweisende neue Fahrzeugtyp von VW mit Stufenheck, der das Design von Golf und Passat beeinflussen sollte, selbst aber nie wieder gebaut wurde. Soweit der Ausflug in die Automobilgeschichte, jetzt zurück zu Thomas Ausflug zu seinen Verwandten. Völlig durchgeschwitzt kamen sie also an, Thomas und seine Eltern. Schwitzen im Filzanzug bedeutete, Jucken und Kratzen. Dem konnte man nur entgehen indem man still sitzen blieb, denn jede Bewegung rieb die Filzfaser auf der verschwitzten Haut hin und her und das bedeutete noch mehr Jucken und Kratzen. Was war das für eine Zeit in der Kinder so leiden mußten? Thomas setzte sich zu seinem Opa, der im Nebel seiner Zigarre den genauso vernebelten internationalen Frühschoppen schaute. Soviel wie die qualmten war es jedesmal ein Wunder, wenn sie die Sendung überlebten. Thomas verstand nichts, aber dafür in Farbe und mit Fernbedienung, das war groß! Zu Hause schauten sie immer noch in diese Schwarzweißkiste, die unglaublich heiß wurde und das Bild fiel irgendwann in sich zusammen. Natürlich immer dann, wenn Scotty, der alte Schrauber, gerade mal wieder Probleme mit seinem Transporter hatte, während sein Captain gerne auf die Enterprise zurückgebeamt werden wollte, weil ihm außerirdische Lebensformen in lustigen Kostümen auf den Fersen waren. Hier bei Opa gab’s alles in Farbe und auch sonst waren das schöne Sonntage mit lecker Roulladen gefüllt mit Speck, Senf und Gürkchen und Klößen, die Thomas immer wieder überraschten: Wie kamen die Brotkrüstchen in die Mitte der Klöße? Manchmal gab’s auch Hasen, keinen falschen, sondern einen aus Opas Stall. Wenn alle beim Essen waren kam auch irgendwann Erich, ein Onkel, den keiner braucht. Verstaubt und in Arbeitsklamotten mit Kappe auf seinem Schädel, der scheinbar nur zur Nahrungsaufnahme diente, denn Erich sprach nie! Nachdem er seine 10 Roulladen reingeschaufelt hatte, verschwand er genauso geräuschlos wie er gekommen war, um an seinem Haus weiterzubauen. Als er 25 Jahre später auszog hinterließ er ein Haus mit drei Geschossen, ausgebautem Dach, Doppelgarage und Swimmingpool und eine total abgedrehte Frau. Thomas Opa hatte schon früher die Fliege gemacht, noch zu Zeiten seines BMW 2002. Dabei war Thomas so stolz, einen Opa mit BMW zu haben. Er sah ihn nie wieder, weder den Opa, noch den BMW.

Der Weltraum, unendliche Weiten – Teil 3

MONTAG BIS FREITAG

Jeden morgen von Montag bis Freitag trafen sich also die beiden Damen um den kleinen Thomas zu verwöhnen. Unterhemd und Unterhöschen wurden über dem Ofen vorgewärmt, im Zimmer seiner Uroma war es so heiß wie in einer Sauna: “Jungchen möcht sich nicht erkälten!”
Das Frühstücksbrot mit Butter und Marmelade wurde in mundgerechte Stückchen geschnitten und an den kleinen Thomas verfüttert, der noch gar nicht wußte was er mit den Armen und Beinen anfangen sollte, die so nutzlos an seinem Körper hingen, denn jede Handlung wurde von Trabanten, die ständig um ihn kreisten, ausgeführt. Er mußte sich also um nichts kümmern, der kleine Prinz. Wenn der Morgen in den Vormittag überging, war es Zeit für einen Ausflug in die Stadt, aber nicht ohne den Schutzanzug, die Rüstung um vor Wind und Wetter und der Bösen Welt geschützt zu sein. Leider gehörte dazu auch eine Wollmütze. Warum wurden diese Foltergeräte nicht verboten, die ein so heftiges Kopfjucken verursachten, das er schnell verstand, wozu man Hände benutzen kann: zum Kratzen bis der Arzt kommt. “Nein, die Mütze bleibt auf, Jungchen erkältet sich.” Im Sommer war das besonders angenehm, aber dann gabs zum Abkühlen wenigstens ein Eis.
In guter Erinnerung sind auch die Besuche beim Metzger geblieben. “NawilldeBubbeStückWorscht?” “Schieb rüber Du Fettsack “, dachte er. Aber die Antwort war dann doch nur ein hingehauchtes leicht zu überhörendes: “Danke.”

Der Weltraum, unendliche Weiten – Teil 2

SUMMER OF ’65

Schon damals räumlich wenig flexibel, erblickte er das Licht der Welt zu Hause in einer kleinen Stadt im Taunus. Später in der Schule wird die Frage gestellt: Wo seid Ihr geboren? Wiesbaden, Wiesbaden, Frankfurt, Wiesbaden,…ruft es um ihn herum. “Und Du Thomas?” “Äh, zu Hause… ” Na Super, warum konnte ihn seine Mutter nicht wie jeden normalen Menschen in seiner Umgebung in Wiesbaden oder Frankfurt im Krankenhaus zur Welt bringen?
Nein, es war in diesem Dachgeschoß, das sie komplett bewohnten zusammen mit jener alten Dame, die versuchte mit einer Morgenzigarette Ihre Herzbeschwerden zu kurieren. Weise und cool war sie, seine Urgroßmutter. Sie wird die ersten 6 Jahre seines Lebens wesentlich prägen und sich dann so plötzlich von ihm verabschieden.
Wohl behütet ist sein Leben in dieser Zeit. “Jungchen muß doch nicht in den Kindergarten gehen! Wir sind doch da”, mußte seine Mutter von seiner Uroma und ihrer Schwiegermutter, seiner Oma, hören. Also ging Thomas’ Mutter 6 Wochen nach seiner Geburt wieder ins Büro. “Tschüß dann!” Mitte der Sechziger mußte eine Frau für eine solche Tat noch mit dem Scheiterhaufen rechnen. Und sein Vater? Der war nach 6 Wochen und vielen Hektolitern Bier auch wieder arbeitsfähig.

Der Weltraum, unendliche Weiten – Teil 1

CAPTAIN JAMES T. KIRK

Jeden Samstag gehörte er dazu, zur Besatzung des Raumschiffs Enterprise. Frisch gebadet im Schlafanzug und Bademantel, mit noch nassem Seitenscheitel, auf dem Teller Leberwurstschnittchen mit Gurkenscheiben, mundgerecht geschnitten. So gerüstet war er bereit neue Welten zu erforschen.
Ja, er wollte so sein wie Captain Kirk (immer in der Nähe von Lt. Uhura mit ihrem sensationell kurzen Röckchen) souverain, klug und mutig, aber immer stark genug, um Schwächen zuzugeben. Eben die ideale Führungskraft, viele Jahre später wird er sich an Captain Kirk erinnern.