Menschen sind verschieden

überlieferter O-Ton einer Zwangsgemeinschaft auf einer Zugfahrt Berlin-Frankfurt durch Überschwemmungsgebiete im Osten, Sommer 2013 (mein Kommentar ist jeweils geklammert)

Helga: Ach mein Engel wie soll ich das ohne Sie aushalten hat die alte Frau ständig zu mir gesagt (vielleicht besser) ich bin nicht tot? Nein sie sind nicht tot, (in ihr Handy) ich sitz immer noch im Zug und wir haben 100 Minuten Verspätung, ist kein unangenehmer Schmerz, nur Muskelverkrampfung, Ich habe mich zwei Wochen von meiner Mutter in Berlin pflegen lassen, im Krankenhaus habe ich jeden Tag Lymphdrainage bekommen, in die Firma reißt mich nichts zurück (da vermisst dich auch keiner). Ich habe 19 Jahre bei einer Speditionsfirma gearbeitet, das ist jetzt Fließbandarbeit, das ist nicht mein Ding, die letzten 4 Monate war ein Stress, der Chef ist komisch.

Die Schweiz: Ich fühlte mich zu alt etwas Neues anzufangen, die letzten Jahre habe ich keine Gehaltserhöhung bekommen, ich habe nicht studiert, eine ganz einfache Speditionskaufmannlehre, ich musste ja arbeiten, abends noch servieren gehen.

Helga: hm, hm hm! Ja wie gesagt, ich warte auf die Eingebung, ich glaub da schon so, ich beschäftige mich seit ein paar Jahren mit Kineosologie.

Die Schweiz: Ich auch, ganzheitliche Atemtherapie und meditative Massage.

Helga: hmhmhm, ja. Ich glaub das haut hin, mein Mann hat gesagt, das ist nichts für mich. (ja ja die Helga.)

Die Schweiz: Ich wollte ursprünglich nach Teneriffa, dort hätte ich arbeiten können, in der Schweiz hätte ich damit nicht arbeiten können, wenn ich in Altersheime gehe.

Helga: Ehrenamtlich?

Die Schweiz: Genau, das sieht aus wie der Kilimandscharo (Abraumberge bei Kassel).

Helga: Da war so ein angehender Arzt, nehmen sie die Kügelchen und verteilen sie die in Indien hat er gesagt, meine Mutter die hat arnika200 im Krankenhaus verteilt, sagt ihr Chef zu ihr: Mit ihnen arbeite ich am liebsten, bei ihnen bluten die Patienten nicht so stark, mein Vater war ein Skeptiker und da waren sie in Malaysia und mein Vater wollte in den Urwald meine Mutter wollte nicht mit und dann kam er nach zwei Tagen mit Thropenfieber zurück (wie die Mutter so die Tochter oder umgekehrt, wahrscheinlich war das Papas misslungener Fluchtversuch). Meine Mutter hat ihm die Kügelchen gegeben, am nächsten Tag gings ihm wieder gut, sie haben dann auch keinen Tag verloren, meine Nachbarin hat ein Pferd, oh je mein Hintern, ja für’n Hintern hab ich was.

Die Schweiz: Die Dorfbewohner hatten da ein Wasser, ich hatte auch damals schon eine Katze und der ging’s schlecht dann gab ich ihr das Wasser nach drei Tagen ging es ihr wieder gut, die Katze wusste doch nichts davon, viele Dinge werden erst durch die Homöopathie in Stoß gebracht.

Helga: Damit kämpfe ich im Moment auch (liest gerade was in der neuen Revue oder sowas), mir fallen die Haare aus, ich nehme Schüssler Salz dagegen, meine Bürste spricht was anderes, da sind definitiv zu viele Haare drin. (Helga, etwa Mitte 40 verheiratet mit Klaus, der Schicht arbeitet) so lange wir noch können reisen wir in der Welt herum, später konzentrieren wir uns auf Europa. (Die Schweiz neben mir ist geschieden, hat einen Sohn, der mit dem Motorrad in England verunglückt ist, ihr Mann war zwei Meter groß. Sie wohnt in Landshut. Es wundert mich nicht, dass sie geschieden ist, es wundert mich, dass Helga noch nicht geschieden ist.) Ich habe elf Dioptrien und die Brille ist beim Unfall aus dem Auto geflogen, ja es ist die Brille die ich auf der Nase habe, ich würde mich gern bei den Ersthelfern bedanken, die meine Teddys gerettet haben, ein Teddy habe ich verloren, obwohl alle Teddys angeschnallt waren (Helga erzählte vorhin detailbesessen 45 Minuten lang von ihrem schweren Unfall, nach einer Vollbremsung bei 170km/h hat sie sich 5 mal überschlagen.)

(Was ist los? Seit 5 Minuten höre ich nichts mehr aus dem Leben meiner Mitmenschen …ah, jetzt geht‘s wieder los.)

Helga: Dürfte ich gerade mal die Nummer daraus abschreiben (sie meint den Verschluss der Colaflasche von der Schweiz)? Ich mach beim Preisausschreiben mit, es gibt keinen Ort in meiner Wohnung, wo es keine Bären gibt, ich hab auch schon mal einen Colabären gewonnen es ist witzig ich gewinne immer dann etwas wenn ich es gerade brauche als ich im Krankenhaus war hat man mir das Päckchen gebracht zum Glück hat mein Mann morgen frei. Das ist ja jetzt gut, dann kann ich morgen ausschlafen nach dieser Fahrt werde ich croggi sein. Targin, sehr starkes Betäubungsmittel, muss ich alle zwei Stunden nehmen dann hab ich den Arzt angerufen Nachbarin hat es geholt das habe ich vier Tage gemacht hier ist ne offene Stelle, die suppt so vor sich hin, bestellt mir das bitte ich möchte heute Abend das Mittel haben. Der Körper muss doch mal schmerzfrei werden.

Die Schweiz: Die arme Niere.

Helga: Mein armer Körper. (120 Kilo Lebendgewicht sind auch nicht gesund. Ein Arm der demolitionman alle Ehre macht, mit Schrauben und Gestängen, ich glaube die Ärzte haben sich nur für den endlosen Redeschwall gerecht und ihr diese Schrauben in den Arm gedreht und sich dabei tierisch gefreut) Beste Krankheit taucht nüscht. Sonnenkollektoren. hähähä, danke. (Schweiz hilft Deutschland beim umblättern der Neuen Revue, so jetzt wird erstmal gerätselt, mit dem gesunden Arm, deswegen ist es gerade paradiesisch still, ah schön…)

Lautsprecherdurchsage: Unser Boardrestaurant ist seit Fulda geschlossen!

Die Rentners: Man sollte trotzdem immer eine Thermoskanne dabeihaben (Mutti erklärt seit Stunden ihrem Handy das die Heizung angestellt werden muss) damit das warme Wasser geht, gib dem mal eine SMS.

(So jetzt hat sich Helga endlich ihre Droge eingeworfen, vielleicht betäubt das auch ihr Sprachzentrum, nein!)

Helga: Gehen sie ruhig. Das hätte sie jetzt auch mitnehmen können. So jetzt geh ich erstmal wohin. (Das wollten wir auch alle wissen. Wie passt Helga in das WC? Schauen wir mal ob sie zurückkommt und was sie uns zu erzählen hat. Das ging jetzt verdächtig schnell, das waren gerade mal drei Minuten und das mit diesem Arm!)

Die Schweiz: Der macht ein böses Gesicht, den traut man gar nicht zu fragen.

Helga: hmhmhm ja.

(klingelingongongklingelinonging) Mutti von den Rentners: Hallo Thomas wir sitzen immer noch im Zug normal wären wir jetzt schon Zuhause der von Frankfurt ja ja irgendsoeinen werden wir schon kriegen ja gut und bei euch war’s schön ich geb dir mal den Papa Gruß an Ulrike er weiß noch nichts von seinem Geschenk tschühüß. Ja wir werdens heut noch schaffen.

Helga: Kein Festnetz, kein Handy. Klaus ist nicht zu erreichen, (vielleicht hat er seine Chance erkannt und hat sich aus dem Staub gemacht. Nee, jetzt ruft er an ) Helga! bitte ja ok. das ist richtig ja ja ok alles klärchen. Die konnten nicht auffüllen ich hatte jetzt drei Vollkornschnitten. Nee nee ok das krieg ich schon hin. In meinem Waggon ist die Klimaanlage kaputt gegangen ne ne ich bin nicht mehr im zwölfer. Jo tschühüß.

Die Rentners: Er hatte schon beim Stefan angerufen, weil wir nicht zu Hause waren.

(Das kann doch nicht alles gewesen sein, Helga, was du uns zu sagen hast. Sie zerreißt jetzt Zeitungen! raaatsch, wenn ihre Nachbarin nicht aufpasst hat sie gleich Helgas Gestänge im Ohr. So jetzt geht die Schweiz aufs Klo.)

raaatsch! Helga: Ich hatte noch keine Zeit mir eine Uhr zu kaufen, die hat’s nämlich auch erwischt, meine schöne Mickey Mouse Uhr! (Jetzt gleich Ankunft in Frankfurt, Helga aus Traben Trarbach erzählt im Schnelldurchlauf über die nächsten Therapieschritte) Drücken sie mir mal die Daumen, dass das Gestänge am 13. abkommt. Jo, ich denk an Sie, dass Sie möglichst schnell nachhause kommen tschüßchen, ja, alles Gute, …sie haben das alles klären können… (Helga verabschiedet sich schnell von ALLEN im Zug. Für jeden hat sie noch ein aufmunterndes Wort, nur uns meidet sie. In Frankfurt steigen wir aus. Klaus empfängt seine Helga und was trägt Klaus am Gürtel, eine dicke Gürteltasche.)