PACK DEN TIGER IN DEN TANK
Tanken war ein Erlebnis. Das war nicht einfach nur ein lästiges Muß, nein das Tanken wurde zelebriert, eine heilige Handlung, die meinem Vater und mir vorbehalten war. Wir fuhren rausgeputzt zur Esso-Frau mit der bunten Kittelschürze und den mit Gummistiefeln gepanzerten Beinen – auch bei der größten Hitze im Sommer. In diesen Stiefeln war was los. Ein lebendiges Treiben quirliger Kleinstlebewesen, im Kampf um den besten Platz zwischen den schwitzigen Fußzehen dieser Essofrau.
Wir fuhren unter das Tankstellenvordach, platzierten uns neben einer der beiden Tanksäulen und warteten bis in einem Fenster zwei Meter über unserem Auto der Kopf der Essofrau erschien und fragte: “Guten Morgen Männer, was wollt Ihr?” Mein Vater wollte den Tiger in den Tank und ich die wertvollen Bilder von Heinz Sielmann und Hans Hass für meine Sammelbücher “Könige im Tierreich”, “Babies der Wildnis” und “Vorstoß in die Tiefe”. Dank des enormen Kraftstoffverbrauchs unserer 70er Jahre Kutschen ( ich erinnere mich noch genau an den kantigen bronzefarbenen K70 von VW) hatte ich die Bücher bald voll und mein Ziel erreicht. Der Komodowaran, der Schwarze Panther und die Seekuh waren meine absoluten Lieblinge. Außer Benzin und Tierbilder hatte die Essofrau nicht viel zu bieten, aber sie hatte immer Zeit für einen kleinen Plausch, es gab keine Eile und es wurde mit Bargeld bezahlt.
Wenige Jahre später hatte die Essofrau ihre Tanksäulen geschlossen, die Seekuh war ausgestorben und die Tankstellen und ihre Angebote wurden immer größer, aber Tanken sollte nie wieder so aufregend sein, wie bei der Essofrau.